Dr.-Steinach-Straße

1984 beschlossene und wieder verworfene Umbenennung eines Teilstücks der Schweizer Straße von der Diepoldsauer Straße Richtung Stadtmitte bis zur Bahnlinie (untere Schweizer Straße).

Ärztedynastie Steinach

Dr. Wilhelm Steinach 1796 – 1867
Dr. Simon Steinach 1834 – 1904
Dr. Eugen Steinach 1861 – 1944

Ende des 18. Jahrhunderts wanderte aus Pfersee bei Augsburg Simon Ullmann in Hohenems ein, dessen Vater rege Handelsbeziehungen mit den Hohenemser Juden unterhielt. Er heiratete Esther Moos, die fünf Kindern das Leben schenkte. Die Familie nahm 1813 den Namen Steinach an. So hieß die Parzelle in Hohenems, wo ihr Wohnhaus stand (heute: Schweizer Straße 35 – „Elkanhaus“).

Als drittes Kind der nicht mit Glücksgütern gesegneten Eltern Simon und Esther wurde am 14. November 1796 ihr erster Sohn Wilhelm in Hohenems geboren. Schon früh zeigte sich der ausgeprägte Lerneifer des mit besonderen Geistesanlagen ausgestatteten Knaben, und der mittellose Vater wagte das Experiment, seinen begabten Sohn nicht wie damals üblich Hausierer, Handelsmann oder Agent werden zu lassen, sondern ihm das Arztstudium zu ermöglichen. In Kempten, München und Wien absolvierte er unter großen finanziellen Opfern und mit Hilfe wiederholter Darlehen seitens der israelitischen Heimatgemeinde seine Studien mit Auszeichnung.

Im Jahr 1832 wurde Dr. Wilhelm Steinach als Arzt der Israelitengemeinde Hohenems angestellt und wirkte bald so erfolgreich in seinem verantwortungsvollen Beruf, dass sein ärztlicher Ruf weit über Hohenems hinausreichte. Das „Sankt Galler Tagblatt“ vom 2. Mai 1854 brachte in einer Beilage einen Artikel über ihn unter der Überschrift „Ein edler Menschenfreund, als Beispiel zur Nachahmung“. Darin wurde Dr. Steinach nicht nur als Heiler der Kranken, sondern auch als wahrer Vater der Armen jeder Konfession gewürdigt.

Das Streben des fortschrittlich gesinnten Juden Dr. Wilhelm Steinach galt aber auch der geistigen Entwicklung seiner streng konservativen Glaubensgemeinschaft in Hohenems, und schon nach wenigen Jahren zeigten sich die Spuren seines Wirkens in allen Gemeinde-Institutionen wie Synagoge, Schule und Armenwesen. Er wurde als erster Armenarzt der Israelitengemeinde eingestellt, und er opferte einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Vermögens, um den ganz armen Familien nach der Krankheit materielle Hilfe leisten zu können. Als fähiger Lokal-Schulinspektor förderte er die soziale Einstellung der Jugend. Seine Tatkraft war auch mitentscheidend, dass im Jahr 1840 der „Israelitische Handwerker-Verein“ gegründet werden konnte, der die Aufgabe hatte, die hilfsbedürftigen Jünglinge der Israelitengemeinde zu tüchtigen Handwerkern heranzubilden, um so den nicht sehr geschätzten Hausierhandel zu vermindern. Dr. Wilhelm Steinach war auch Mitglied eines Hilfskomitees in Hohenems, das die gesammelten Gelder den Bedürftigen ohne Unterschied der Konfession zukommen ließ. Im politischen Leben der Judengemeinde in Hohenems spielte er als Gemeindevertreter und als Wahlmann für den Vorarlberger Landtag eine bedeutende Rolle. Er verfasste stilistisch meisterhafte Memoranden über die Notwendigkeit und Berechtigung der  Gleichstellung der Juden.

Im Jahr 1864 trat unter allseitigem aufrichtigem Bedauern Dr. Wilhelm Steinach von seinen Ämtern als Gemeindearzt und Schulaufseher zurück. Das hohe Ansehen, das er auch außerhalb der Judengemeinde Hohenems genoss, blieb ihm über seinen Tod am 6. April 1867 hinaus erhalten. Die Israelitengemeinde widmete ihm ein Ehrengrab in ihrem Friedhof.

Sein Sohn Simon Steinach wurde am 7. April 1834 als einziges Kind des Dr. Wilhelm Steinach und der Therese Levi in Hohenems geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Feldkirch studierte er in Wien Medizin. Als junger Arzt führte er gemeinsam mit seinem Hohenemser Jugendfreund Dr. Josef Brettauer, der später ein bedeutender Augenarzt in Triest wurde, eine grundlegende Untersuchung über die  Fettresorption im Dünndarm durch, die in Fachkreisen auf lebhaftes Interesse stieß.

Trotz seiner Vorliebe für die Forschertätigkeit folgte er dem Beispiel seines Vaters und wurde sein Nachfolger als praktischer Arzt in Hohenems. Durch seine gediegenen Kenntnisse und sein fortgesetztes Studium der neuesten Behandlungsmethoden gewann er das unbedingte Vertrauen seiner Patienten. Dass er während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 im Militärspital in Karlsruhe unter dem berühmten Professor Billroth als Chirurg gearbeitet hatte, steigerte seinen ärztlichen Ruf. Wie sein Vater hatte auch Dr. Simon Steinach eine von weither besuchte Praxis; häufig wurde er aus der Bodenseegegend und von der Schweizer Nachbarschaft her konsultiert. Er war Arzt aus echter Menschenliebe und Wohltäter, der mit allen Kräften bemüht war, den Kranken und Notleidenden Hilfe zu bringen. Seine Praxis als Armen-, Fabriks- und Eisenbahnarzt bot ihm hiezu reichlich Gelegenheit. Aufrichtige Verehrung war der Lohn für sein segensreiches Wirken.

Dr. Simon Steinach war im Vorarlberger Ärzteverein ein sehr aktives Mitglied. Politisch setzte er sich als Vorstandsmitglied im Verein der Verfassungsfreunde, im Pressekomitee der „Feldkircher Zeitung“, als Wahlmann für den Vorarlberger Landtag und als Mitglied des Vorarlberger Landesschulrates ein.

Der damals in Hohenems selbständigen Israelitengemeinde stellte Dr. Steinach 1869/70 als Bürgermeister seine Arbeitskraft zur Verfügung, und später kämpfte er verbissen mehr als ein Jahrzehnt um die Inkorporierung (Aufnahme) der Israelitengemeinde in die Ortsgemeinde Hohenems, die er nach umfangreichen Memoranden und zahllosen Beratungen im Israeliten- und Ortsausschuss endlich in persönlicher Vertretung vor dem k. k. Verwaltungsgerichtshof in Wien durchsetzen konnte. In den einzelnen Institutionen der Gemeinde, in Unterricht, Stiftsverwaltung und besonders bei der Errichtung und Ausgestaltung des israelitischen Armenhauses wirkte Dr. Simon Steinach erfolgreich. Dem Land Vorarlberg und besonders seiner Heimatgemeinde Hohenems leistete er hervorragende Dienste bei den Verhandlungen über die zukünftige Rheinregulierung.

Das Bedürfnis nach Ruhe bewog den fast Sechzigjährigen, im Oktober 1893 nach Wien zu übersiedeln. Allgemein wurde sein Wegzug bedauert, und das kam auch in der Vorarlberger Presse zum Ausdruck. So schrieb zum Beispiel die „Feldkircher Zeitung“ am 25. Oktober 1893: „Das Bedauern über den Weggang dieses ausgezeichneten Arztes ist nicht nur in Hohenems, sondern im ganzen Land, namentlich auch in der benachbarten Schweiz, ein allgemeines, denn Dr. Steinach genoss ein großes Zutrauen bei den Tausenden von Patienten, die seine Hilfe suchten und an ihm jederzeit einen bereitwilligen, ebenso gewissenhaften als einsichtsvollen Ratgeber fanden.“

In Wien unterhielt Dr. Simon Steinach rege Beziehungen zu bedeutenden Ärzten und anderen Persönlichkeiten, und bald gab es einen erlesenen Freundeskreis, der gern das gastfreundliche Haus des bescheidenen, geistig so ungemein regsamen Gelehrten aufsuchte.

Aber auch mit Hohenems waren die guten Kontakte nicht unterbrochen. Besonders enge Zusammenarbeit gab es mit Dr. Aron Tänzer, dem Verfasser des hervorragenden Werkes „Die Geschichte der Juden in Hohenems“, der 1905 in seinem Vorwort schrieb: „In wehmutsvoller Verehrung und Dankbarkeit gedenke ich hier auch meines väterlichen Gönners und wissenschaftlichen Förderers … Dr. Simon Steinach, auf dessen Anregung hin ich kurz nach meinem Amtsantritte in Hohenems … das Werk in Angriff nahm, der jede Zeile desselben mit lebhaftestem Interesse und sorgfältigster Kritik begleitete, leider aber dessen Erscheinen nicht mehr erleben sollte.“ Dr. Simon Steinach war kurz nach Vollendung seines 70. Lebensjahres am 6. Mai 1904 in Wien gestorben.

Der Vertreter der dritten Generation der Ärztedynastie Steinach, Eugen Steinach, wurde am 27. Jänner 1861 in Hohenems geboren. Sein Vater war Dr. Simon Steinach, die Mutter Flora Rosenthal, eine Tochter des Fabrikanten Joseph Rosenthal in Hohenems. Nachdem Eugen das Gymnasium in Feldkirch besucht hatte, studierte er in Genf und schließlich in Wien. Schon in den ersten Studienjahren interessierte er
sich besonders für die Physiologie (Wissenschaft von den Lebensvorgängen).  Im Jahr 1886 promovierte er zum Doktor der Medizin und begann seine akademische Laufbahn als Assistent in Innsbruck. Nach dreijähriger Weiterbildung erwarb er die Lehrbefugnis für Physiologie an Hochschulen. Dr. Steinach arbeitete dann als erster Assistent an der deutschen Universität in Prag, wo er ab 1895 als Professor für Physiologie erfolgreich lehrte. Im Jahr 1910 kam er als Professor an die Universität Wien, wo ihn die österreichische Akademie der Wissenschaften außerdem zum Leiter ihrer biologischen Versuchsanstalt ernannte. Er war Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften und wurde auf seinem Gebiet ein angesehener Wissenschafter.

In seiner Wiener Zeit – sie dauerte 28 Jahre – schuf Dr. Eugen Steinach neben einer Vielfalt grundlegender medizinischer Abhandlungen auch sein Hauptwerk „Verjüngung durch experimentelle Neubelebung der alternden Pubertätsdrüse“ (1920 erschienen). Damit erregte er großes Aufsehen. Ein uralter  Menschheitstraum schien Wirklichkeit zu werden – an Jahren zwar älter und reifer zu werden, ohne die Mühsale und Schwächen des Alters zu spüren. Überall arbeiteten Forscher daran, die Ursachen des Alterns zu ergründen. Der „Verjüngungsrummel“ – damals und heute wieder – bewegte die Gemüter, aber zur ernsten Forschung gesellte sich üble Sensationshascherei und Geldmacherei und weckte falsche Hoffnungen.

Dr. Steinachs These von der Verjüngung durch Regeneration wurde oft missverstanden; es wurde der Vorwurf gegen ihn erhoben, seine Schlussfolgerungen seien zu spekulativ. Aber seine Entdeckung von der Wechselwirkung der Hormone – um nur die wichtigste aus seinem Forschungsgebiet zu nennen – war von größter Bedeutung. Dr. Steinach übte auf die spätere Entwicklung der Hormonforschung großen Einfluss aus, er wurde zu einem Wegbereiter der modernen Hormonbehandlung, einem grundlegenden Gebiet der neuesten Medizin.

Das Jahr 1938 bedeutete für den Juden Dr. Steinach den Verlust seiner Heimat. Für den bereits 77 Jahre alten gebürtigen Vorarlberger kam als Asylland in erster Linie die Schweiz in Frage, und so ließ er sich in Zürich nieder. Sein Forscherdrang war nicht gebrochen; so beschäftigte er sich zum Beispiel mit Versuchen zur Verbesserung der Rinderrassen. Am 13. Mai 1944 starb Universitätsprofessor Dr. Eugen Steinach in Territet am Genfer See im Alter von 83 Jahren.

Die Familie Steinach lebte im vorigen Jahrhundert im Haus Schweizer Straße 35, und dort hatte auch Dr. Simon Steinach seine gutgehende Praxis. Im Jahr 1907 ging das Haus an die Familie Elkan (daher: „Elkanhaus“) über.

Heribert Fenkart, 1984, 2023 aktualisiert

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