Salomon-Sulzer-Straße

1984 benannt. Abzweigung von der Diepoldsauer Straße. Sackstraße.

Salomon Sulzer 1804 – 1890

Auf der Suche nach dem in der weiten Welt bekanntesten Hohenemser stößt man gewiss auf Oberkantor Salomon Sulzer, den Begründer des modernen Synagogengesangs. Seine in zwei Bänden zusammengefassten Gesänge erschienen unter dem Titel „Schir Zion“ (Die Harfe Zions). Sie stellten einen Kompromiss dar zwischen den streng orthodoxen Liedern des östlichen jüdischen Kulturkreises, unter dem die Wiener Judenschaft damals stand, und den geistig offenen Bestrebungen des westjiddischen Kulturbereiches, den Sulzer von der Hohenemser Judengemeinde her mitbrachte. So ist „Schir Zion“, wie auch die „Dudaim“ – laut Untertitel handelt es sich dabei um ein „Kleines liturgisches Gesangbuch zum Gebrauch für Schulen, kleine Gemeinden und die häusliche Andacht“ – , in den meisten Synagogen, die einen Gottesdienst mit Chorbegleitung haben, auch in Übersee, selbst in Jerusalem, immer noch in Verwendung.

Salomon Sulzer wurde am 18. März 1804 (auch der 30. März ist als Geburtsdatum überliefert) im Haus Schweizer Straße 31, also in unmittelbarer Nähe der Synagoge geboren. Die Familie hieß bis 1813 Levi, war aber stets zur Unterscheidung von den vielen Levi-Familien „Sulzer“ genannt worden, und zwar weil ihr Stammvater Josle Levi im Jahr 1744 aus Sulz (bei Rankweil und nicht aus dem Württembergischen) zugewandert war.

Aron Tänzer würdigte Sulzer eingehend und wusste auch Geschehnisse aus Salomons Kindheit zu berichten. So soll er sich schon als kleines Kind häufig in der Familie des damaligen Kantors Benjamin Levi-Bermann aufgehalten haben. Dieser beauftragte den sechsjährigen Salomon eines Tages, ihm den Mantel zu bringen. Der Weg führte das Kind in die Nähe des Emsbaches und Salomon fiel in den Hochwasser führenden Bach. Er wurde von den stürmischen Fluten mitgerissen und schon hoffnungslos aufgegeben. Unter kühner Todesverachtung stürzte sich ein junger Hohenemser namens Karl Huchler ins Wasser und entriss ihn den Wellen. Als Salomon eines Abends nicht heimkehrte, fand der Vater ihn spät in der Nacht schlafend auf seinem Sitzplatz in der Synagoge. Diese Erlebnisse waren für die frommen Eltern Fingerzeig genug, um den Knaben ganz dem Dienst Gottes zu weihen, zumal er musikalisch vortrefflich begabt war. Die Eltern bestimmten ihn für den Gottesdienst als Kantor. Salomon nahm, kaum der Schule entwachsen, in Endingen in der Schweiz Unterricht bei Lippmann, einem der berühmtesten Kantoren seiner Zeit. Salomon Sulzer kam kurze Zeit nach Hohenems zurück und erhielt gründlichen Unterricht vom hier tätigen Salomon Eichberg. Vom Vater wurde er zur weiteren Ausbildung dieses Mal nach Karlsruhe geschickt. Von dort kehrte er mit einer klangvollen, sonoren Baritonstimme ausgestattet, nach Hohenems zurück. Im Jahr 1820 wurde er von der hiesigen Israelitengemeinde als Kantor angestellt. Sulzer bemühte sich, den Gottesdienst zeitgemäß zu gestalten, indem er Verstärkung mit Sängern bis zu einem „kleinen
Orchester“ beizog.

Sein Ruf ging bald über die Grenzen seines Geburtsortes hinaus, doch waren die künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten in Hohenems rasch ausgeschöpft. Im Jahr 1826 erhielt er eine ehrenvolle Einladung nach Wien und innerhalb weniger Tage das Amt eines Oberkantors übertragen. Die dortige Judenschaft mit etwa 2000 Mitgliedern konnte in jenem Jahr ihren zweiten Stadttempel einweihen.

An seiner eigenen Fortbildung emsig arbeitend, indem er bei Ignaz Xaver Ritter von Seyfried Unterricht in Komposition nahm, schuf er zunächst die notwendigsten Choräle für den Tempelgesang, in die er die uralten Synagogenmelodien aufnahm, ohne die er an eine Reformierung nicht denken durfte. Als, von Moses Mendelssohn angeregt, die deutsche Sprache im jüdischen Gottesdienst Eingang fand, suchte man auch die alten Weisen aus der Synagoge zu verdrängen, indem man den protestantischen Kirchenliedern ähnliche deutsche Gesänge einführen wollte. Ein solches von Deutschland ausgehendes Bestreben fand aber in Wien damals keinen Anklang, es scheiterte am Konservativismus der Juden, dem Salomon Sulzer Rechnung tragen musste. In Rhythmisierung und Harmonisierung der alten Melodien stellten sich ihm große Probleme entgegen. Er reformierte den jüdischen Kultusgesang durch neue Kompositionen in einem der Wiener Klassik angenäherten Stil und durch Schulung eines vortrefflichen Synagogenchors. Gegenüber den im südrussischen Raum entstandenen chassidischen Gesängen entwickelte sich mit Wirkung bis weit in den Osten eine Kantoralpraxis mit vierstimmigen Chorgesängen, die von der Wiener Synagoge ihren Ausgang nahm, sich aber bald als so praktisch erwies, dass die Gesänge in den meisten Synagogen beider Kulturbereiche Eingang fand.

Um eine gewisse Vielseitigkeit zu erzielen, veranlasste Sulzer berühmte Komponisten wie Drexler, Fischhof, Schubert, Seyfried, Volkert und Würfel zur Vertonung von Psalmen. Aus Ehrfurcht vor der Tradition und Wertschätzung des Hebräischen bat Sulzer seine Freunde, den originalhebräischen Text in Musik zu setzen und nicht die deutsche Übersetzung. So entstand das in der jüdischen Literatur epochemachende Werk „Schir Zion“, das im Jahr 1840 in Druck erschien. Im Jahr 1862 kam ein zweiter Teil dazu, der bis in unsere Zeit Neuauflagen erlebt.

Weltberühmte Musiker wie Franz Schubert, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, Robert Schumann oder Niccolö Paganini zählten zu seinem illustren Freundeskreis. Besonders innig war die Freundschaft Sulzers mit Schubert, der wir die Vertonung des in hebräischer Sprache verfassten 92. Psalms (D 935) verdanken, ein Geschenk an Sulzer, das im Rahmen der in Hohenems aufgeführten Schubertiaden schon öfter zu hören war. Anderseits war Sulzer als einer der bedeutendsten Schubertinterpreten geschätzt. Zahlreiche Schubert-Lieder erlebten durch ihn ihren ersten Vortrag, er gab die Lieder Schuberts originalgetreu wieder, was ihm Schubert besonders hoch anrechnete.

Sulzer erfreute sich auch der Gunst des kaiserlichen Hofes, selbst Kaiser Franz Josef gehörte zu seinen besonderen Verehrern. So wundert es nicht, dass er mit höchsten Auszeichnungen überhäuft wurde, zum Beispiel erhielt er das Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens, den kaiserlich ottomanischen Medschidje-Offiziersorden, die Große Österreichische Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, sowie die Große und die Kleine Russische Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. Papst Pius IX. ernannte ihn zum Meisterkomponisten der heiligen Cäcilia in Rom und dies brachte ihm die Ehrenmitgliedschaft der Reale Academica di Santa Cecilia in Rom und anderer gelehrter Gesellschaften. Der Erzbischof von Erlau Johann Ladislaus Pyrker widmete Sulzer „Die Allmacht“, die Franz Schubert in Musik setzte. Die Stadt Wien verlieh ihm die Ehrenbürgerschaft. In den Jahren 1844 bis 1847 war Salomon Sulzer Professor des Gesanges am Wiener Konservatorium.

Sulzer gründete 1859 die erste Liedertafel in Wien. Aber auch am kulturellen Geschehen seiner Heimatgemeinde nahm er regen Anteil. Er zählte mit zu den Initiatoren, die in Hohenems den Gesangverein „Frohsinn“ gründeten. Es war dies der erste behördlich genehmigte Gesangverein Vorarlbergs, in dem Christen und Juden gemeinsam den vierstimmigen Chorgesang pflegten und damit ein Beispiel der Toleranz gaben.

Nie ließ Sulzer die Verbindung zu seinen Freunden in Hohenems abbrechen und besuchte sie auch des Öfteren. Seine Gattin Franziska Hirschfeld stammte ebenfalls aus Hohenems. Seine Arbeit hatte ihn weitab von seiner Heimat verschlagen. So wollte er wenigstens nach seinem Tod mit seinen Angehörigen vereint werden, wie Salomon Sulzer im Jahr 1874 an Abraham Schwarz schrieb: „… aber wie gesagt: da der Mensch nicht alles haben kann, entschied ich mich für Wien – solange ich lebe! nachher aber ist es mein Vorsatz, meine Hülle im heimatlichen Boden bei meinen Vätern ruhen und rasten zu lassen! Da wäre oben in der Mitte der Mauer ein passendes Plätzchen mit hübscher Aussicht, ein Wallfahrtsort für meine Nachkommen und vielleicht für so manchen Verehrer des einstigen Barden Jehovah’s“

Die Israelitenvorstehung in Hohenems beschloss denn auch Sulzer unentgeltlich ein Ehrengrab zu überlassen. Die Angehörigen der Wiener Kultusgemeinde wussten ihren früheren Oberkantor jedoch ebenfalls zu schätzen. Salomon Sulzer wurde, als er am 17. Jänner 1890 im Alter von 86 Jahren verschied, im Wiener Stadttempel aufgebahrt, eine Ehrerbietung, die bei den Juden ansonsten nicht vorkam. Sein Grab wurde Ehrengrab in der Reihe der Großen im Wiener Zentralfriedhof.

In Hohenems erinnert das Haus Schweizer Straße 31 an Salomon Sulzer, an dem im Jahr 1976 eine Gedenktafel angebracht wurde. In der Auslage des Hauses ist die ursprüngliche Gedenktafel aufgestellt, die Sulzer anlässlich seines 70. Geburtstages von der Direktion der „Gesellschaft der Musikfreunde“ gewidmet worden war. Eine Sulzergasse hat es an der Synagoge vorbei von 1909 bis 1938 gegeben. Mit dem Anschluss an das Deutsche Reich musste jedoch jeder Hinweis an eine jüdische Vergangenheit und damit auch die Sulzergasse verschwinden.

Norbert Peter, 1984

Ergänzung (Quelle: Salomon-Sulzer-Saal)

Die 1771/72 nach Plänen des Bregenzerwälder Barockbaumeisters Peter Bein erbaute Synagoge ist das Zentrum des Jüdischen Viertels in Hohenems, und die bedeutendste Barocksynagoge des gesamten Alpenraums. Hier begann auch der Weg des einflussreichsten jüdischen Kantors und Synagogenmusikers des 19. Jahrhunderts, Salomon Sulzer. Der Umgang mit diesem Gebäude ist ein Spiegel der Geschichte.

Zwar blieb die Synagoge in der Pogromnacht des 9. November 1938 vor gewaltsamen Übergriffen verschont, die Ritualgegenstände wurden jedoch wenige Tage später beschlagnahmt und verschwanden spurlos. Nach der Zwangsauflösung der Jüdischen Gemeinde erfolgte im September 1940 die Übernahme des Hauses durch die Marktgemeinde Hohenems; die Pläne des Umbaus zu einem Feuerwehrhaus wurden bis Kriegsende nicht mehr verwirklicht.

Nach der Rückstellung des Gebäudes durch die französische Verwaltung in den Nachkriegsjahren beschloss die Marktgemeinde Hohenems, die ehemalige Synagoge von der Kultusgemeinde Innsbruck anzukaufen. Mit dem Umbau zum Feuerwehrhaus 1954/55 wurden schließlich alle Elemente zerstört, die an die bedeutende Geschichte des Gebäudes erinnert hatten und der Bau mit einer Widmungstafel neu datiert. Bis 2001 wurde das Gebäude als Feuerwehrhaus genutzt.

Nachdem es der Stadt Hohenems und Gerhard Lacha (Bauberechtigtengemeinschaft Synagoge) ein Anliegen war, das geschichtsträchtige Haus wieder zu einem Ort der Kultur und der Begegnung zu machen, begann 2002 unter der Leitung des Architektenpaares Ada und Reinhard Rinderer ein umfangreicher Umbau. Der ehemalige Betraum erhielt seine ursprüngliche Kubatur zurück, die charakteristischen hohen Fenster mit den Ochsenaugen und die ehemalige Frauengalerie wurden teilweise wieder hergestellt. Das Haus, das nun als „Salomon Sulzer Saal“ Raum für Veranstaltungen bietet und die Musikschule tonart beherbergt, erlebt eine neue Phase seiner bewegten Geschichte.

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