Regina-Ullmann-Straße

1984 benannt. Verbindung von der Radetzkystraße zur Erlachstraße.

Regina Ullmann 1884 – 1961

Die bekannte Lyrikerin und Erzählerin Regina Ullmann wurde als zweite Tochter des jüdischen Kaufmannes und Stickereifabrikanten Richard Ullmann, Sohn des Hohenemser Arztes Dr. Ludwig Ullmann, und der Fabrikantentochter Hedwig Neuburger aus Ulm am 14. Dezember 1884 in Sankt Gallen geboren. Ihr Vater hatte in der Schweiz keine Heimatberechtigung erworben, so blieb die Familie österreichisch, mit Heimatrecht in Hohenems.

Der frühe Tod des Vaters (1889) brachte die Hinterbliebenen in finanzielle Schwierigkeiten. Regina entwickelte sich zu einem stark auf die Mutter konzentrierten, hochsensiblen und zugleich schwerfälligen Kind mit Sprach- und Schreibschwierigkeiten. In einem Sankt Galler Privatinstitut für gehemmte Kinder gab es für Regina, damals Regeli gerufen, ihr zentrales Kindheitserlebnis: Die Lehrerin hatte der Klasse für das beste Diktat einen goldenen Griffel versprochen, worauf das sonst so leistungsschwache Regeli die beste Arbeit ablieferte. In der stark autobiographischen Erzählung „Goldener Griffel“ verarbeitete sie viele Jahre später dieses Ereignis. Nach dem Abschluss der Primär- und dann der Sekundarschule schrieb sie bereits ihre ersten Gedichte.

Im Jahr 1902 verkaufte Regina Ullmanns Mutter ihr Haus in Sankt Gallen und übersiedelte mit ihren beiden Töchtern nach München. Regina arbeitete zeitweilig an der Bayrischen Staatsbibliothek und besuchte Vortragskurse für Literatur und Kunstgeschichte.

Rainer Maria Rilkes Gedichte hatten sie schon immer stark beeindruckt, und so sandte sie ihr 1907 entstandenes Erstlingswerk, den dramatischen Einakter „Die Feldpredigt“, an den Dichter. Im Antwortbrief schrieb Rilke: „Dass ich Ihnen doch so recht überzeugend sagen könnte, was Schönes Sie da gemacht haben.“ Für ihr zweites Buch „Von der Erde des Lebens“ (Dichtungen in Prosa, 1910) schrieb Rilke das Geleitwort. Er wurde nach der persönlichen Begegnung mit Regina Ullmann in München zu ihrem künstlerischen Berater und Förderer und führte sie in seinen Freundeskreis ein, zu dem auch ihre spätere Biographin Ellen Delp gehörte.

Regina Ullmann fiel das Schreiben nicht leicht. Jedes Gedicht und jede Erzählung bedeutete harten Kampf mit dem geschriebenen Wort. Wie im „Goldenen Griffel“ musste bei ihr „die Situation des höheren Diktates“ gegeben sein, dann konnte sie schreiben, was sie in sich hörte und in sich sah. Aber gerade dieses In-sich-Hineinhören und -Hineinschauen befähigte sie zu Visionen, und viele Erzählungen sind ja gerade wegen ihres visionären Charakters so eindrücklich und unvergesslich. War ihre „unbedingte Identität mit sich selbst“ gestört, schwieg sie, konnte sie nicht arbeiten. Zeitweise litt die Dichterin unter starken Depressionen, die sie auf langen Wanderungen zu bewältigen suchte. Rilke schrieb an ihre Mutter: „… nun sind ja Depressionen bei ihr nichts Seltenes und mehr noch als bei anderen Produzierenden ist in ihr die Ebbe und Flut des Gemüts wechselnd und extrem und unabsehbar.“

Im Frühjahr 1919 erschienen Regina Ullmanns „Gedichte“, aber erst ihr Band mit Erzählungen unter dem Titel „Die Landstraße“ (1921) machte sie allmählich bekannt. Unter ihren neuen Bekannten befanden sich so berühmte Schriftsteller wie Thomas Mann und Robert Musil. Dichterlesungen in deutschen und schweizerischen Städten und weitere Werke wie „Die Barockkirche“ (1925), zwei Bände Erzählungen „Vom Brot der Stillen“ (1932) und „Der Apfel in der Kirche“ (1934) erweiterten den Kreis der Freunde ihrer Dichtungen.

Nach mehrmaligem Wohnungswechsel in Bayern mussten Regina Ullmann und ihre Mutter 1936 aus  rassischen Gründen das Land verlassen. Sie zogen nach Salzburg um. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1938 übersiedelte Regina in die Schweiz und mietete sich im von Klosterschwestern geführten Marienheim in Sankt Gallen ein. Regina Ullmann war schon 1911 unter dem Einfluss von Freunden im Wallfahrtsort Altötting zum Katholizismus übergetreten. In ihrer franziskanischen Behausung fühlte sie sich glücklich; sie passte so gut zu ihren Buchgestalten der Mägde, Knechte, Krämer, Verkäuferinnen, Handwerker und vor allem der Kinder, die dem mütterlichen Herzen der Dichterin besonders nahestanden. Manche ihrer Erzählungen sind voller Humor und voller Verständnis für menschliche Schwächen, andere weisen auf Hintergründiges und Unheimliches hin. Der Kunstschriftsteller Wilhelm Hausenstein sucht darüber hinaus die Verwurzelung der Dichterin mit der Landschaft um den Bodensee aufzuspüren, und er findet: „… in diesen Büchern hat es eben die alemannische Farbe, den alemannischen Ton.“

Zum sechzigsten Geburtstag der Dichterin im Jahr 1944 veranstaltete die Museumsgesellschaft Sankt Gallen eine Feier, bei der die Geehrte aus ihren früheren Werken und aus ihren „Erinnerungen an Rilke“, die erst 1945 in Buchform erschienen, las. Mit den Erzählungen „Schwarze Kerze“ (1954) und der im Jahr 1960 erschienenen Gesamtausgabe „Gesammelte Werke“ in zwei Bänden, von Regina Ullmann und Ellen Delp betreut, schloss sie ihr dichterisches Schaffen ab.

Regina Ullmann war schon 1949 zum außerordentlichen Mitglied der Bayrischen Akademie der Schönen Künste in München gewählt worden, und 1954 wurde ihr der Kulturpreis der Stadt Sankt Gallen verliehen. Vier Jahre vorher hatte die österreichische Staatsbürgerin Regina Ullmann das Bürgerrecht von Sankt Gallen erhalten.

Das letzte Lebensjahr verbrachte sie wieder in Bayern, und zwar in Eglharting bei ihrer im Jahr 1908 geborenen Tochter Camilla. Regina Ullmann hatte jeweils einige Sommerwochen und die Weihnachtszeit bei ihren Töchtern Gerda (1906 geboren) und Camilla zugebracht. Nachdem sie mit einer  Schenkelhalsfraktur ins Krankenhaus von Ebersberg (Bayern) eingewiesen werden musste, starb die Dichterin Regina Ullmann sanft und ohne Todeskampf am 6. Jänner 1961. In Feldkirchen bei München, am Wohnort ihrer älteren Tochter, fand sie ihre letzte Ruhestätte.

Heribert Fenkart, 1984

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